Kapitel 5 – Ade, du muntere, du fröhliche Stadt, ade

Von glücklichen Stunden auf Vereinsfahrt

Feuchtfröhliche Stunden

Neben Proben und Auftritten gehörten die Ausflüge zum festen Bestandteil des Vereinslebens. Wenn wir uns allein auf die Ausführlichkeit der schriftlichen Überlieferung abstützen würden, wären sie gar über längere Zeit hinweg die wichtigste Aktivität gewesen. Denn während über die Konzerte meistens nur am Rande Aussagen gemacht werden, nehmen sie zusammen mit den Cäcilienfeiern und später mit den Soirées einen breiten Raum ein.

Zum ersten Mal hören wir von einem Ausflug am 14. Juni 1900. Musikdirektor Josef Zelger machte an der vormittäglichen Versammlung die Anregung, am Nachmittag nach Luzern zu fahren und dort das Konzert und am Abend die Oper «Carmen» von Georges Bizet im Kursaal zu besuchen. Die Anregung gefiel: «denn wer arbeitet, dem ist auch ein Vergnügen zu gönnen», heisst es im Jahresbericht dazu. Die Kasse übernahm die Kosten, was dann allerdings zur Folge hatte, dass die Jahresrechnung nur mit einem minimalen Vorschlag von Fr. 1.86 abschliessen konnte.

Einen zweiten Nachmittagsbummel unternahm der Orchesterverein am 30. Juni 1902. Diesmal ging es allein um die Geselligkeit. Der Besuch eines Konzertes war nicht mehr vorgesehen, doch haben die Teilnehmer immerhin die Sehenswürdigkeiten im Flühli und im Ranft besichtigt. Der Berichterstatter schreibt: Schon um halb zehn Uhr am Morgen «sah man Orchestermitglieder im festlichen Schmucke sich herumschlängeln, um sich zu erfrischen eventuell zu trainieren für den Ausflug». Solches war notwendig, wie sich zeigen sollte. Mittags um zwölf Uhr «fuhr die vollzählige Caravanne gar fröhlich» vom Stanserhof ab. Zwei Gefährte hatte man aufgeboten, ein «Breck und einen Einspänner». Über den Allweg ging es zügig an Rohren, St. Jakob und Sand vorbei und «schon um zwei Uhr empfing uns vor dem Garten der Krone in Kerns eine korpulente schwarze Wirtin mit zwei heiratsfähigen Töchtern. Was wohl die Ledigen und Witwer über die famosen schattigen Gartennischen dachten, kann Schreiber dies nicht zu Papier bringen». Nach zwei «Bierli», gestiftet von der Kasse, gings weiter, dem Flühli zu. Der Schreiber und alt Präsident Carl Gut machten diesen Weg zu Fuss «unter Verlust vieler Schweisstropfen». Als die beiden ihre Kollegen «auf der scheints höchsten Brücke der Welt wieder trafen, hatten diese leider alle vorfindlichen Steine weit und breit in die Tiefe geschleudert, so dass uns nur noch das imposante Herunterspucken blieb, doch kein unterirdisches Rollen unsere Hörorgane mehr entzücken konnte. Alsbald wir die Brücke und das daran anschliessende kleine Wäldchen durchschritten, präsentierte sich uns die prächtige Gegend vom Flüeli mit dem eleganten Hotel Nünalphorn». Dort gab es eine kleine Stärkung in der Kegelhalle. Nachdem man sich so von den Strapazen ausgeruht und den grössten Durst gelöscht hatte, machte man eine Kegelpartie. Daran schloss sich «ein währschaftes Zabig, welches wirklich ausgezeichnet in kaltem Aufschnitt mit Salat nebst einem guten Glas Wein serviert wurde». Nach dem Eintrag ins Hotelbuch und nachdem «die Ledigen noch einige Ansichtskarten ihren Schätzen geschrieben, gings weiter dem Ranft zu, um Bruder Klausens Wohnung und die Kapelle zu besichtigen, die wirklich auch schön gelegen, jedoch von frömmeren Leuten durch Überschreiben sowie durch Wegschneiden von verschiedenen Spänen arg zugericht ist». Zurück zum Nünalphorn, wo noch ein Abschiedstropfen genehmigt wurde, gings in die «weltbekannte Flühlikapelle». «Als alles sich hier satt geschaut hatte, wurde noch der Walliser beim Kaplan probiert.» Dann machte sich der Verein auf, nach Sachseln hinunter ins Kreuz. Dort wurde ein kurzer «Halt gemacht und einige Tropfen guten Weines eingenommen und das Sehenswürdigste bewundert». Weiter fuhr man zum Adler in Sarnen, «wo bereits Käse, Brot und ein gutes Glas Bier unser wartet», dazu auch ein paar Sarner Töchter, denn anschliessend wird hier getanzt. Als man aufbrechen wollte, «spazierten, natürlich zu unserem Entsetzen noch zwei Doppelliter Wein auf, gestiftet von der charmanten Frau Wirtin Haas, mit der Begründung, ihr Mann habe halt die Stanser gar gerne, und er würde schimpfen, wenn sie nichts» gestiftet hätte. Nach neun Uhr tauchte dann noch der Wirt auf, der sich mächtig freute über die «stämmige Orchestergesellschaft». «In urfideler Stimmung wurde weiter gebrotscht und getänzelt.» Um halb elf Uhr erst verabschiedete sich die Gesellschaft «und im strammen Trabe gings Kägiswil und Alpnach zu». «Damit das Ross des Einspänners keinen Staub mehr schlucken musste [vom vorausfahrenden Breck]» hat man beim «Pilatus» zu Alpnach nochmals Halt gemacht, «um den nötigen Abstand zu bekommen». Nachdem man in Stans noch «etwas gebiert» hatte, löste sich «die ziemlich feuchtfröhliche Orchestergesellschaft auf, um sich von ihren Strabatzen auszuruhen», endigte Jakob Egli seinen Bericht über diesen Ausflug. Die Reise hatte ein kleines Nachspiel. An der Generalversammlung erklärte sich der Präsident bereit, in Zukunft «sein möglichstes zu tun, um den Verein auf richtiger Bahn» zu halten.

In der Hölle und im Himmel

Zwei Jahre später wurde ein weiterer Ausflug geplant. Am 10. Mai 1904 beschloss der Verein folgendes Projekt: «Luzern – Baar – Hölle – Zug. Die Fahrt, Entrée für die Tropfsteingrotte sowie ein Imbiss soll aus der Vereinskasse bestritten werden». Beim Stanserhof bestiegen die Vereinsmitglieder den Zug und fuhren im «nach Stansstad sausenden Salonwagen» dem See zu. Mit Schiff und Dampflokomotive kam man nach Baar. «Von hier auf Schusters Rappen in gerader Richtung, die verschiedenen Wirtshausschilder nur höhnisch verachtend in schneidigem Schritt und Tempo durch den Flecken Baar, der Hölle zu. Schwül und trocken war der Tag, jedoch feucht die Augen derer, welche zusehen mussten wie unser Herr alt Präsident Carl Gut die Schweisstropfen emsig mit dem Taschentuch abwischte. Nur ein Trost war uns vergönnt, es ging ja der Hölle entgegen.»

Der Besuch der Höllgrotte befriedigte alle. Was da nicht alles gesehen wurde: «Trauben, Birnen, Kalbskopf, Schweinsohren etc., so dass einem das Wasser nicht nur auf den Schädel tropfte, sondern auch im Munde zusammenlief.» Doch vorerst musste man sich gedulden. Auf dem Programm stand nämlich noch die Besichtigung des Elektrizitätswerkes im Lorzentobel. Am Imbiss konnten sich die Mitglieder erst in Zug freuen. Zurück beim Bahnhof meinte der Präsident: «Ein Glas Bier könne nichts schaden, aber er trank dann deren drei.» Ansonsten hielten sich alle mit Trinken zurück. So wie vor zwei Jahren wollte dieses Mal niemand heimkehren.

Nachdem dieser Ausflug so gut vonstatten gegangen war, wollte man es 1906 mit einer ganztägigen Reise probieren. Als Reiseziel peilte man Biel, Magglingen und Solothurn an. Bei schönstem Reisewetter fuhr man am 10. Juli 1906 nach Biel, von dort hinauf nach Magglingen. «Himmlisch schön» sei die Aussicht gewesen, «himmlisch gut» das Mittagessen im Bieler Hotel zum Weissen Kreuz mit «Braten, Hecht und Poulet inkl. Gemüse», an dem «selbst der grösste Gourmand nichts auszusetzen gehabt hätte». Den Nachmittag widmeten die Mitglieder der Stadt Solothurn. Die St. Ursenkathedrale erinnerte sie mit ihrem vielen Stuck an die Stanser Pfarrkirche. Im Zeughaus bewunderten sie nebst den Rüstungen die Darstellung des Stanser Verkommnis. Beim anschliessenden Zabig ging es schon «urgemütlich» zu, im Zug nach Olten sogar «kreuzfidel». Und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre die ganze Gesellschaft auf Vorschlag von Josef Businger statt heim nach Bern gefahren, um dort zu übernachten. Zuhause kehrte man im Hotel Engel ein, wo dann noch bis früh in den Morgen über das im Sand verlaufene Berner Projekt «praletet» werden sollte.

Wieder gesitteter verlief der Ausflug vom 8. Juli 1907, der nach Basel führte. Hier bewunderte man im Historischen Museum unter anderem eine Sammlung alter Instrumente sowie den Konzertsaal der Brauerei Cardinal. Schliesslich war man ja ein Verein von Musikanten. Negativ aufgefallen ist den Reisenden während der Zugfahrt «eine Unmasse bekannter Reklametafeln der Chocoladenfirmen Luzerna und Klaus, die einem die ganze Gegend verleideten».

Ein Lied im frohen Kreise

Die Mitglieder des Orchestervereins waren nicht bloss «Meister» auf ihren Instrumenten. Nach genügend Tranksame lockerten sich oft ihre Kehlen zu lustigem Gesang. So wird etwa berichtet: «die höchst ergötzlichen italienischen Liedervorträge von Josef Blättler und Karl Odermatt» hätten auf der Heimfahrt viel Stimmung gebracht. «Ihre nicht immer ganz verständlichen Vorträge wussten sie durch Actionen so lebhaft zu bekräftigen, bis sie zuletzt beide auf dem Boden sassen». Bei der Rückreise von Baden und Wettingen am 8. Juni 1909 heisst es, «ein Liedchen habe das andere geschlagen».

Doch nicht immer musste Biergenuss den Ausschlag zum Singen geben. Auf der Insel Schwanau verleitete Patriotismus die Mitglieder am 16. August 1910 zum Singen entsprechender Lieder. Wen wundert es darum, wenn die Orchesterleute am 3. Juli 1911 mit dem Lied «ade, du schöne, du muntere Stadt» von Rapperswil Abschied nehmen, oder wenn sie auf die Wanderung im Solothurner Jura am 17. Juni 1912 frohe, zuweilen auch einschlägige Lieder zum Besten geben. Die Suche nach den «schmucken Mädels» blieb allerdings erfolglos, auch wenn sie noch so besungen wurde.

Auf "fröhlicher Wanderung". Persiflage. Aquarellierte Federzeichnung der 1920er Jahre.

Unterbrüche

Meistens hatte der Orchesterverein bei seinen Ausflügen Wetterglück. Ob dabei wie bei der Fahrt aufs Stanserhorn am Kilbimontag 1914 der hl. Petrus die Hand im Spiel hatte oder ob das nachfolgende Bonmot den Beweis für seine Richtigkeit lieferte, bleibe dahingestellt. Jedenfalls leitet der Berichterstatter der Ägeri-Fahrt seinen Text ein mit: «Ja wenn Götter reisen, so muss ja das Wetter schön sein. Mit diesen geflügelten Worten eines zwar nicht ganz göttlichen Vereinsherren haben wir uns auf die Fahrt gemacht».

Doch auch die Götter konnten nicht verhindern, dass mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges die traditionelle Vereinsfahrt ein abruptes Ende nahm. Erst am 3. August 1921 raffte sich das Orchester wieder zu einem Ausflug auf. Ein Extrazug brachte 14 Mitglieder nach Stansstad. Von dort hiess es, den Weg nach Hergiswil auf Schusters Rappen unter die Füsse zu nehmen. Da bestiegen alle einen reservierten Wagen, um auf den Brünig zu fahren. «Ein schneidiger Walzer, gespielt von Franz und Gusti, legte vom Zweck unseres Vereins Zeugnis ab.» Es blieb nicht bei einer Darbietung, andere folgten, zu denen sich auch einzelne Jodler gesellten. So schien es, als würden die früheren Traditionen wieder aufgenommen. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Nur noch einmal, im Jahre 1924, kam es zu einem Ausflug. Diesmal ging es mit einem Car rund um den Zugersee. Nach dieser Fahrt wollte sich niemand mehr für einen Vereinsausflug so richtig erwärmen. Natürlich hing das auch mit dem sich abzeichnenden «Einschlafen» des Orchesters zusammen. Nach dessen «Erweckung» tauchte auch die Frage hin und wieder auf, ob man nicht einen Ausflug unternehmen sollte. Eine Mehrheit fand der Antrag jeweils nicht. Denn die einen redeten von einer Reise, die andern schlugen einen Konzertbesuch vor. Lachende Dritte waren jeweils jene, die ein gemeinsames Nachtessen oder einen Imbiss anstrebten. Denn das war dann der gemeinsame Nenner, bei dem sich alle finden konnten.

Zwischenhalt auf der Vereinsfahrt ins Appenzellerland. Aufnahme von 1990.
Wer am Abend zu spät ins Bett geht, verpasst am anderen Tag so manches. Aufnahme von 1990.

So fand ein Vereinsausflug erst wieder im Jahre 1988 statt, als das Orchester sein 90-jähriges Bestehen feiern konnte. Er führte die Mitglieder in den Jura und war ein derartiger Erfolg, «dass sich alle Beteiligten einig waren, da müssen weitere folgen». Vorgesehen wurde ein Zwei-Jahres-Rhythmus. So verbrachten die Vereinsmitglieder 1990 frohe Stunden in Appenzell, 1992 im Berner Seeland, 1995 in Lugano und 1997 im Berner Oberland. Als sehr versierte Reiseleiter amtete bisher jeweils ein Duo, nämlich Vreni Berchtold und Josef Bernasconi.